Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Die CDU tut sich überraschend schwer bei der Auswahl ihres neuen Vorsitzenden. Kurz vor dem digitalen CDU-Parteitag am Samstag gibt es unter den Bewerbern Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen noch immer keinen klaren Favoriten. Denn eigentlich würden viele Delegierte wohl am liebsten einen Mann zum Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer machen, der in der Union Begeisterungswellen auslöst und auch bei der Bevölkerung hohe Sympathiewerte einfährt. Einen wie Markus Söder. Nur ist der in der falschen Unionspartei.

Daher könnte es am Samstag auf dem ersten digitalen CDU-Parteitag eine Vernunftwahl geben. Wer hat die meiste Erfahrung, wer kann die Partei einen? Im Regierungslager und in der Parteiführung hat man sich jüngst für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Laschet stark gemacht. Denn der kann genau diese Attribute in die Waagschale werfen und hat bereits eine Wahl gewonnen.

Für die Delegierten einer konservativen Partei wie der CDU könnte daher bei der Wahl die "sichere Bank" das ausschlaggebende Argument sein. Auch wenn Laschet in Umfragen hinter Merz und Röttgen liegt. Merz polarisiert die Partei nach wie vor und war in der aktuellen Corona-Pandemie wenig präsent. Röttgen, der nach seinem Überraschungsantritt zuletzt auffällig viel Unterstützung bekommen hat, fehlt die Hausmacht.


   Laschet als Mann der Mitte 

Laschet kann als einziger Kandidat auf Regierungserfahrung und eine gewonnene Wahl verweisen. Er will einen Kurs der Mitte und lehnt einen Bruch mit der Merkel-Ära ab. Anders als Merz und Röttgen hat er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel keine alte Rechnung zu begleichen.

Für Laschet ist Teamarbeit wichtig - er hat den in der Union beliebten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Vize in sein Team geholt. Zwar schadet ihm, dass Spahn angeblich hinter seinem Rücken Chancen für eine eigene Kanzlerkandidatur ausgelotet haben soll. Aber das Unterfangen war laut Medienberichten erfolglos. Als Brückenbauer legt Laschet Wert auf Konsens, was nach der Bundestagswahl in den zu erwarteten Koalitionsverhandlungen von Vorteil sein dürfte. Dies alleine dürfte ihm bei der Wahl zum CDU-Vorsitz viele Stimmen der 1.001 CDU-Delegierten einbringen.

Problematisch dürfte für Laschet allerdings sein, dass er in der Corona-Pandemie weitaus wankelmütiger war als etwa Söder. Auch war an Visionen oder konkreten Erneuerungsplänen der Partei in den vergangenen Wochen wenig Originelles zu hören.


   Merz will die Erneuerung der Partei 

Allerdings ist ein Sieg Laschets keine ausgemachte Sache. Viele sehnen sich in der CDU nach einem deutlich konservativen Profil, für das der frühere Unionsfraktionschef Merz steht. Sorge bereitet jedoch sein polarisierender Stil. Manche werfen ihm auch vor, die Partei mit Rezepten von gestern erneuern zu wollen. Auch will er mit dem Kurs von Merkel, seiner alten Rivalin, brechen und auf jeden Fall ins Kanzleramt einziehen.

Merz kann bei seinem zweiten Anlauf auf den Parteivorsitz - vor zwei Jahren war er gegen Kramp-Karrenbauer knapp unterlegen - noch immer auf den Wirtschaftsflügel, auf die Junge Union und auf hohen Zuspruch aus einigen Landesverbänden wie etwa Baden-Württemberg oder Hamburg zählen. Doch die Frauenunion ist gegen ihn. Und auch vom Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble kam anders als vor zwei Jahre keine öffentliche Empfehlung für Merz.


   Röttgen gegen Lagerdenken 

Die Wahl am Samstag könnte durchaus auch für eine Überraschung gut sein. Als Röttgen sich im Februar für den CDU-Vorsitz bewarb, räumte man ihm lediglich Außenseiterchancen ein. Anders als Merz und Laschet verfügt er in der Partei über keine große Machtbasis. Der frühere Bundesumweltminister ist zudem das einzige Kabinettsmitglied, das von Merkel gefeuert wurde. Nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2012 fiel der Spitzenkandidat Röttgen bei Merkel in Ungnade.

Röttgen hat seitdem aber öffentlich Fehler eingeräumt und sich in Berlin als Bundestagsabgeordneter in außenpolitischen Themen profiliert. Er vermeidet ein Lagerdenken innerhalb der Partei, will einen deutlich klimafreundlicheren Kurs und könnte die Partei stärker zu den Grünen öffnen.

Sollte es bei der Wahl am Samstag zu einer Stichwahl zwischen ihm und Merz kommen, dann hätte Röttgen durchaus Chancen, Laschets Unterstützer hinter sich zu versammeln und damit die Mehrheit zu bekommen. Für ihn spricht auch, dass er anders als seine Mitherausforderer nicht auf Teufel komm raus ins Kanzleramt einziehen will. Bei einem Sieg könnte er die Tür für Söder öffnen.

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January 13, 2021 09:24 ET (14:24 GMT)