Von Justin Lahart

LONDON (Dow Jones)--Bis vor Kurzen schien es noch, als würden produzierende Unternehmen in diesem Jahr ihre Lieferketten-Probleme allmählich hinter sich lassen. Russlands Überfall auf die Ukraine könnte jedoch einen Strich durch diese Rechnung machen. Noch ist schwer abzuschätzen, wie sich der Krieg tatsächlich auswirken wird.

Das Institute for Supply Management teilte am Dienstag mit, dass sein Index für die Aktivität des verarbeitenden Gewerbes in den USA im Februar auf 58,6 gestiegen ist. Im Januar lag der Wert noch bei 57,6. Auch der von IHS Markit ermittelte Index kletterte auf 57,3 nach 55,5 im Monat zuvor. Für beide Indizes gilt, dass jeder Wert über 50 auf eine Expansion hindeutet.

Die Fabriken könnten wahrscheinlich noch mehr leisten, wenn sie im Stande wären, alle von ihnen benötigten Rohstoffe und Teile zu beschaffen. Zwar behindern die durch Covid-19 verursachten Probleme in der Versorgungskette weiterhin die Produktion. Dennoch gab es auch einige Anzeichen der Entspannung. IHS Markit berichtete, dass die Lieferverzögerungen so gering waren wie seit Mai letzten Jahres nicht mehr. Sowohl die ISM- als auch die IHS Markit-Umfrage ergaben, dass die von den Herstellern gezahlten Preise im Februar langsamer stiegen als im Vormonat.

Angesichts des deutlichen Rückgangs der Covid-19-Fälle in den USA und weiten Teilen der Welt während des vergangenen Monats sowie der veränderten Einstellung vieler Regierungen in ihrem Kampf gegen die Pandemie hätten es die Fabriken in diesem Frühjahr mit der Beschaffung endlich leichter haben müssen. Wenn da nicht Russland wäre.


   Neue und unvorhersehbare Schwierigkeiten 

Der Einmarsch in die Ukraine droht die weltweite Versorgung mit Stahl und Rohstoffen zu beeinträchtigen. Beispiele sind Neongas und Palladium, die in der Halbleiterproduktion eingesetzt werden. Der durch den Konflikt ausgelöste Anstieg der Ölpreise wird die Transport- und Produktionskosten in die Höhe treiben, während bereits erste Beeinträchtigungen des weltweiten Schiffsverkehrs zu beobachten sind.

Man darf die Entwicklung auch noch von einer anderen Seite betrachten: Russland ist zwar ein bedeutender Exporteur von Rohstoffen, aber auch ein Importeur von Investitionsgütern, Produktionskomponenten, Konsumgütern und Transportausrüstung. Die Kombination aus Sanktionen und dem Wertverfall des Rubels bedeutet, dass es dem Land immer schwerer fallen wird, das Nötige aus dem Ausland zu beschaffen. Ohne diese Konkurrenz könnte sich die Versorgungslage andernorts möglicherweise entspannen.

So wurden nach Angaben des Ausschusses der Automobilhersteller (AEB) im vergangenen Jahr in Russland 1,7 Millionen neue Autos und andere leichte Fahrzeuge verkauft. Sicherlich werden es in diesem Jahr weniger sein, womit die Komponenten, die in diesen Fahrzeugen verbaut wurden, frei werden für andere Länder. Die Daimler Truck Holding teilte am Montag mit, dass sie die Lieferungen von Lkw-Komponenten an ihren russischen Kooperationspartner Kamaz aussetzen werde. Der Hersteller beherrscht rund ein Drittel des russischen Lkw-Marktes.

Russlands Wirtschaft ist nur etwa so groß wie die Australiens. Aufgrund seiner finanziellen Isolation und seiner Abhängigkeit vom Öl ist das Land nicht so stark in die globalen Lieferketten integriert wie viele andere Länder. Die Wirtschaft der Ukraine ist stärker globalisiert, aber auch kleiner.

Es ist unmöglich abzuschätzen, wie komplexe globale Lieferketten auf die Ungewissheiten dieses Krieges reagieren werden - insbesondere im Zusammenhang mit einer Pandemie, die sich vielleicht doch nicht so bald besiegen lässt.

Es muss nicht so kommen, dass es für die Fabriken noch schwieriger wird, das zu besorgen, was sie brauchen. Je länger sich der Konflikt und die Sanktionen jedoch hinziehen, desto härter werden die Hersteller weltweit die Auswirkungen zu spüren bekommen.

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March 02, 2022 04:23 ET (09:23 GMT)