Berlin (Reuters) - Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte schon Jahre vor der Wirecard-Pleite Hinweise auf mögliche Straftaten des Zahlungsabwicklers.

Diese seien aber im Ausland, nämlich in Singapur, begangen worden, sagte Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl am Freitag im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Wegen der detaillierten Berichterstattung der "Financial Times", die über Jahre über Bilanzunregelmäßigkeiten bei Wirecard berichtet hatte, sei der frühere Dax-Konzern schon lange auf dem Radar gewesen. Es sei stets geprüft worden, ob die Staatsanwaltschaft einsteigen müsse.

Dafür sei aber ein Tatort in Deutschland oder ein Deutscher, der mutmaßlich eine Straftat begangen habe, die Voraussetzung, so die Staatsanwältin. "Diese Hinweise hatten wir zum damaligen Zeitpunkt nicht." Ein vager Anfangsverdacht reiche nicht aus für Ermittlungen. Für Haftbefehle sei sogar ein dringender Tatverdacht Voraussetzung. "Wir können nicht einfach losgehen wegen des Gefühls, jemand ist schuldig."

Bäumler-Hösl wies Vorwürfe zurück, in dem Bilanzskandal zu zögerlich agiert zu haben. "Ich bin der festen Überzeugung, das war nicht der Fall." Ihre Behörde sei personell gut ausgestattet, beschäftige erfahrene und gut ausgebildete Mitarbeiter und habe keine Angst vor großen Namen oder Konzernen.

Der Zahlungsabwickler aus Aschheim bei München war im Juni 2020 nach Bekanntwerden milliardenschwerer Luftbuchungen in die Pleite gerutscht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile wegen Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Geldwäsche. Im Visier sind dabei vor allem Ex-Vorstände: Ex-Chef Markus Braun sitzt in Untersuchungshaft, der früher für das operative Geschäft zuständige Jan Marsalek ist auf der Flucht. Es ist einer der größten Finanzskandale der Nachkriegszeit.

SPD - STAATSANWALTSCHAFT HAT ZU VIEL SPÄT GEHANDELT

Als in Form einer Pflichtmitteilung des Unternehmens bekannt wurde, dass Milliarden-Beträge auf den Philippinen nicht existierten, hat die Staatsanwaltschaft innerhalb von Stunden Haftbefehle beantragt, wie Bäumler-Hösl weiter sagte. In Dutzenden Razzien seien 56 Millionen Datensätze sichergestellt worden.

Kritik kam von der SPD: "Die Staatsanwaltschaft hat sich lange von Wirecard an der Nase herumführen lassen", sagte Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe zur Nachrichtenagentur Reuters. "Alles wurde genommen und auch mit der Autorität der Staatsanwaltschaft an andere Behörden weitergereicht." Auch Geldwäschevorwürfe schienen die Glaubwürdigkeit der Wirecard-Vorstände nicht zu beschädigen. "Erst als die Wirecard AG kurz vor dem Zusammenbruch war, ging die Staatsanwaltschaft gegen Wirecard vor. Leider viel zu spät."