Aufstand der Kleinanleger, Kommentar zur Wall Street von Dieter
Kuckelkorn
Frankfurt (ots) - Was sich derzeit an der Wall Street im Fall des
Computerspielehändlers Gamestop abspielt, ist bemerkenswert. Erstmals haben sich
Kleinanleger in großer Zahl zu einer bewussten Beeinflussung des Marktes
zusammengetan. Die Aktion hat auch einen klar erkennbaren politischen
Hintergrund. An einer Anzahl von Hedgefonds, die mit Leerverkäufen große Gewinne
zu erzielen versuchen, entlädt sich der Zorn der Privatanleger in einer
konzertierten Strafaktion, die zu enormen irrationalen Kursbewegungen führt.

Großen Leerverkäufern an der Wall Street wird oft nachgesagt, nicht fair zu
spielen, sondern Leerverkaufspositionen einzugehen und dann durch gezieltes
Streuen von Nachrichten und Meinungsmache den Kurs der Aktien nach unten zu
prügeln. Das ist sogar legal, solange die Akteure dabei öffentlich machen, dass
sie Short-Positionen halten. Bei vielen Kleinanlegern entsteht gleichwohl das
Gefühl, übervorteilt zu werden. Nun sahen die Kleinanleger die Chance, Rache zu
nehmen, zumal es um die Aktie eines Computerspielehändlers geht, dem sich viele
Anleger emotional verbunden fühlen.

Aber die politische Dimension der konzertierten Aktion der Kleinanleger reicht
noch weiter. Große Teile der amerikanischen Mittelschicht haben den Eindruck,
dass ihnen bei der Bewältigung der Coronakrise vom Staat kaum geholfen wird. Der
Finanzsektor profitiert hingegen in einem hohen Maß von der Liquiditätsflut der
Fed, auch wenn diese damit die Realwirtschaft über Wasser halten will.
Demgegenüber sind neue Hilfspakete, die weiten Teilen der Bevölkerung
zugutekommen würden, bislang im politischen Dickicht in Washington hängen
geblieben. Der Unmut entlädt sich nun an Hedgefonds, die vielen Amerikanern als
Inbegriff eines aus ihrer Sicht zu mächtig und einflussreich gewordenen
FIRE-Sektors (Finance, Insurance, Real Estate) gelten. Die Aktion der
Kleinanleger ist somit auch als eine Fortsetzung der sozialen Unruhen der
vergangenen zwei Jahre zu sehen.

Die US-Behörden haben Ermittlungen aufgenommen, das Problem lässt sich aber kaum
strafrechtlich in den Griff bekommen. Nötig wäre eine neue Politik, die der arg
gebeutelten Mittelschicht zugutekommt. Diese dürfte es aber auch unter einem
Präsidenten Joe Biden kaum geben, weil die US-Volkswirtschaft unter anderem
wegen des Aufstiegs neuer Mächte wie China zunehmend Schwäche zeigt. Nicht nur
an der Wall Street stehen die Zeichen weiter auf Sturm.

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