Almaty/Moskau (Reuters) - In Kasachstan hat Präsident Kassym-Schomart Tokajew für den Fall weiterer Unruhen den Schießbefehl erteilt.

"Ich habe den Sicherheitskräften und der Armee den Befehl gegeben, ohne Vorwarnung zu schießen, um zu töten", sagte er am Freitag in einer Fernsehansprache. Wer sich nicht ergebe, werde vernichtet, drohte er den von ihm so bezeichneten "Terroristen". Bis zu 20.000 Banditen hätten die Wirtschaftsmetropole Almaty angegriffen und Staatseigentum zerstört. Zuvor hatte Tokajew erklärt, die Ordnung sei nach den mehrtägigen Zusammenstößen weitgehend wiederhergestellt. Auf den Straßen Almatys schienen die Sicherheitskräfte die Lage unter Kontrolle zu haben. Allerdings waren am Morgen in der Nähe des zentralen Platzes erneut Schüsse zu hören.

"WER SICH NICHT ERGIBT, WIRD ZERSTÖRT WERDEN"

"Die Militanten haben ihre Waffen nicht niedergelegt", sagte Tokajew im Fernsehen. "Sie fahren fort, Verbrechen zu begehen oder sie vorzubereiten. Der Kampf gegen sie muss bis zum Ende fortgesetzt werden. Wer sich nicht ergibt, wird zerstört werden."

Die Bundesregierung verurteilte den Schießbefehl. "Wer ohne Vorwarnung auf Demonstranten schießen lässt, um zu töten, hat den Kreis zivilisierter Staaten verlassen", schrieb Justizminister Marco Buschmann auf Twitter. Die EU sei bereit zu helfen, wo sie könne, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich besorgt über die Lage in Kasachstan. Er plane baldige Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte Macron, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Chinas Präsident Xi Jinping erklärte, die Volksrepublik lehne jede Einmischung mit dem Ziel der Destabilisierung Kasachstans strikt ab. Das habe Xi Tokajew gesagt, berichtete das Staatsfernsehen. China teilt - wie auch Russland - eine lange Grenze mit Kasachstan.

Tokajew hat für die schwersten Unruhen seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 "im Ausland trainierte Terroristen" verantwortlich gemacht. "Die Ordnungskräfte arbeiten hart", hieß es in seiner Erklärung, die das Präsidialamt verbreitete. "Die verfassungsmäßige Ordnung ist in allen Regionen des Landes weitgehend wiederhergestellt." Die örtlichen Behörden hätten die Situation unter Kontrolle. "Aber Terroristen setzen noch immer Waffen ein und beschädigen das Eigentum der Bürger. Daher sollte der Anti-Terror-Einsatz fortgesetzt werden, bis die Militanten vollständig eliminiert sind." Das Staatsfernsehen berichtete von mehr als 3700 Festnahmen. Das Innenministerium teilte mit, 26 "bewaffnete Kriminelle" seien "liquidiert" worden. Aufseiten der Sicherheitskräfte seien 18 Polizisten und Nationalgardisten getötet worden.

Um sie zu unterstützen, hatte das von Russland geführte Militärbündnis OVKS am Donnerstag auf Tokajews Bitte hin Soldaten in das Mitgliedsland Kasachstan entstandt. Allen voran hat Russland Fallschirmjäger in das Nachbarland im Süden geschickt. Die OVKS hat nach eigenen Angaben Soldaten aus allen Mitgliedsstaaten nach Kasachstan verlegt, neben Russland und Kasachstan sind dies Belarus, Armenien, Kirgisistan und Tadschikistan. Es handele sich um etwa 2500 Soldaten, die einige Tage oder Wochen in Kasachstan bleiben sollten.

RUSSLAND: KASACHSTAN KANN SEINE PROBLEME SELBST LÖSEN

Mehr als 70 russische Flugzeuge transportierten rund um die Uhr Material und russische Soldaten nach Kasachstan, meldete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau. Sie sollten unter anderem dabei helfen, den Flughafen von Almaty unter Kontrolle zu halten, den Protestierende zeitweise besetzt hatten. Vize-Außenminister Alexander Gruschko erklärte, Russland und die OVKS stünden dem Land zur Seite, wie Alliierte dies tun sollten.

Kasachstan ist ein wichtiger Ölförderer und der weltweit größte Uran-Produzent. Die Proteste hatten sich an einer von der Regierung verhängten Erhöhung von Treibstoff-Preisen entzündet. Der kurz darauf erfolgte Rücktritt der Regierung und die Rücknahme der Preiserhöhung für Autogas haben die Menschen jedoch nicht beruhigt. Viele werfen den Behörden und der Elite Bereicherung vor, während die allermeisten der 19 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner arm bleiben.

Nicht nur in Almaty kam es zu Protesten, auch in anderen Städten des Landes. Da seit Mittwoch das Internet gesperrt ist, ist das ganze Ausmaß schwer auszumachen. Seit der Unabhängigkeit hatte Nursultan Nasarbajew als Präsident fast 30 Jahre lang mit harter Hand regiert. 2019 hatte er das Amt an den von ihm selbst ausgewählten Nachfolger Tokajew übergeben. Der heute 81-jährige Nasarbajew und sein Clan behielten aber großen Einfluss in Wirtschaft und Politik. Auch dagegen richten sich die Proteste.