Berlin (Reuters) - Die Deutsche Bahn steht trotz eines verbesserten Tarif-Angebots vor dem längsten Streik ihrer Geschichte.

Die Lokführergewerkschaft GDL kündigte in der Nacht zu Montag für Mittwochmorgen 02.00 Uhr die vierte Streikrunde im laufenden Tarifkonflikt an. Der Ausstand soll bis kommenden Montag um 18:00 Uhr bundesweit den Verkehr lahmlegen. Im Güterverkehr wird bereits ab Dienstag, 18.00 Uhr, zum Streik aufgerufen. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagte im ZDF-Morgenmagazin, der Tarifkonflikt nehme zunehmend destruktive Züge an. "Ich habe Null Verständnis für diese Form der Tarifauseinandersetzung." Die Bahn nannte es maßlos, dass die GDL bei einem verbesserten Angebot nicht einmal an den Verhandlungstisch komme. Sie will aber nicht erneut versuchen, den Streik per einstweiliger Verfügung vor Gericht zu stoppen.

Die Deutsche Bahn hatte der GDL erst am Freitag ein neues Tarifangebot unterbreitet. Dabei war Personalvorstand Martin Seiler auch auf die Kernforderung der GDL einer Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eingegangen und hatte eine Stunde weniger Arbeit pro Woche angeboten. GDL-Chef Claus Weselsky lehnte dies dennoch ab: "Herr Seiler trickst und täuscht an der Stelle auch die Bahnkunden, nicht nur seine eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter." Die angebotene Senkung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde habe Seiler daran gekoppelt, dass die Bahn ausreichend zusätzliche Mitarbeiter einstellen könne. Zudem weigere sich die Bahn, über einen GDL-Tarifvertrag für Beschäftigte in der Infrastruktur überhaupt zu verhandeln.

Seiler reagierte mit Unverständnis: "Wir haben der GDL die Hand gereicht, sie antwortet mit einem sechstägigen Streik. Obwohl wir große Zugeständnisse gemacht haben, ist die Lokführergewerkschaft noch nicht einmal bereit, zu verhandeln."

Die Bahn will wie beim letzten Streik für den Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr einen Notfahrplan mit einem stark reduzierten Angebot an Fahrten anbieten. Zuletzt fuhr bei Streiks nur etwa jeder fünfte Fernzug.

"EINE ZUMUTUNG"

Der neue Ausstand sorgte in der Wirtschaft und beim Fahrgastverband Pro Bahn für Sorgen: "Der sechstägige Streik ist für Fahrgäste eine Zumutung", sagte der Bundesvorsitzende Detlef Neuß zu Reuters. Durch die lange Dauer seien nun auch Wochenendpendler betroffen. Derzeit gebe es sehr wohl Reisende, die Verständnis für die Anliegen der Lokführer hätten. "Aber bei einem Sechs-Tage-Streik dürfte sich das Verständnis der Fahrgäste sicher halbieren."

Ökonomen gehen durch den langen Streik von einem Milliarden-Schaden aus: "Ein eintägiger bundesweiter Bahnstreik kostet etwa 100 Millionen Euro am Tag an Wirtschaftsleistung", sagte der Konjunkturchef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), Michael Grömling, zu Reuters. Bei der nun angekündigten Streikdauer von sechs Tagen würden die Kosten nicht mehr linear steigen, sondern sich teils multiplizieren. "Wir sind da schnell bei einer Milliarde Euro Schaden", sagte Grömling. Die Deutsche Bahn selbst kalkuliert mit etwa 25 Millionen Euro pro Tag für ihr Unternehmen allein.

Der Unternehmerverband Baden-Württemberg (UBW) zeigte sich besorgt, zumal Deutschland ohnehin in der Rezession sei: "In einer Zeit, in der wir uns ohnehin um die wirtschaftliche Entwicklung und um den sozialen Frieden in unserem Land Sorgen machen müssen, legt die GDL hier zusätzlich Feuer an die Lunte. Das ist sehr bedenklich", sagte UBW-Hauptgeschäftsführer Oliver Barta. Die Unternehmer aus Berlin und Brandenburg äußerten sich ähnlich und warnten vor einer weiteren Konjunkturbremse: "Fast eine ganze Woche ohne Güterverkehr auf der Schiene bedeutet für viele Unternehmen einen echten Schlag ins Kontor."

Forderungen aus der Politik, Streiks in der kritischen Infrastruktur zu verbieten, lehnte Verkehrsminister Wissing allerdings ab: "Das Streikrecht gehört zu den wesentlichen Grundrechten unserer Demokratie, die aber immer von jedem auch verlangen, sie verantwortlich zu nutzen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Die Bahn hatte zuletzt angeboten, die Löhne ab August um 4,8 Prozent und ab April 2025 um 5,0 Prozent steigen. Außerdem sollen 2850 Euro Inflationsausgleichsprämie so schnell wie möglich fließen. Darüber hinaus könnten ab Januar 2026 Lokführer und Zugbegleiter ihre Wochenarbeitszeit um eine Stunde verkürzen. Sie könnten aber auch alternativ rund 2,7 Prozent mehr Gehalt bekommen. Somit summiere sich das Angebot auf 13 Prozent.

Die GDL hat eine Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich als Kernforderung genannt. Die Gewerkschaft verlangt ferner 555 Euro monatlich mehr. Außerdem wird unter anderem einmalig die steuerfreie Inflationsprämie von 3000 Euro gefordert. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll zwölf Monate betragen.

(Weitere Reporter: Klaus Lauer, Katharina Lösche. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Markus Wacket und Rene Wagner