Berlin (Reuters) - Die deutsche Wirtschaft wird nach Einschätzung des Industrieverbands BDI in diesem Jahr kaum zulegen.

Das Wachstum dürfte lediglich 0,3 Prozent betragen, deutlich unter dem global erwarteten Wert von 2,9 Prozent, teilte der Verband am Dienstag in Berlin mit. "Konjunkturell herrscht Stillstand in Deutschland. Im Vergleich zu den meisten anderen großen Industrieländern fällt unser Land weiter zurück", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. "Eine Chance auf einen raschen Befreiungsschlag 2024 sehen wir nicht."

2023 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 0,3 Prozent, der erste Rückgang seit dem Corona-Jahr 2020. Alle anderen großen Industrienationen haben sich besser geschlagen. Auch 2024 werde kein leichtes Jahr, so Russwurm. "Konjunkturell kommen wir nur mühsam voran, und nur, wenn der private Konsum anzieht. Die Industrie, ganz besonders die energieintensive, hat schwer zu kämpfen." Zum Lichtblick im Jahresverlauf könne die Zinspolitik der Zentralbanken werden, weil die Inflationsraten zurückgingen. Damit steige die Aussicht auf allmähliche Zinssenkungen. Spürbare Effekte in der Realwirtschaft werde dies allerdings erst ab dem Frühjahr 2025 auslösen.

Eine echte Erholung der deutschen Industrie nach den krisenbedingten Rückschlägen der vergangenen Jahre dürfte ausbleiben, prognostizierte der BDI. "Die Produktion hat bisher nicht einmal das Vorkrisenniveau des letzten Quartals 2019 wieder erreicht. Voraussichtlich gibt es für 2024 erst einmal eine Seitwärtsbewegung." Insbesondere die energieintensiven Branchen blieben angesichts hoher Strompreise weit entfernt von ihrer früheren Stärke.

Ein Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl im November würde laut BDI schwere Auswirkungen auf Deutschland haben. Wirtschaftlich dürften sich die Vereinigten Staaten dann wieder abschotten. Außerdem stelle der Republikaner das westliche Verteidigungsbündnis Nato infrage und suggeriere, den Ukraine-Konflikt rasch lösen zu können. Das bereite Sorgen, weil es starke Auswirkungen auf die Sicherheitsarchitektur in der Welt haben könne. Russwurm ergänzte, Deutschland müsse sich auf jedes Szenario vorbereiten. "Und das heißt: Sorgen machen reicht nicht. Europa muss sich auf eine Welt vorbereiten, in der wir Europäer mehr auf uns selbst gestellt sind und weniger als in den vergangenen 75 Jahren auf die transatlantische Sicherheitspartnerschaft zählen können." Trump hat gerade die erste Runde im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner klar für sich entschieden.

Sorge bereiteten auch die Situation in Nahost und im Roten Meer, wo zuletzt Handelsschiffe von Huthi-Rebellen aus dem Jemen angegriffen wurden. Russwurm sagte, die Lage in Nahost sei ein Pulverfass. Schon jetzt änderten sich die Handelsrouten dadurch, würden teurer und länger. "Aber das Risiko eines Flächenbrands in Nahost ist glaube ich noch viel größer." Es sei eher ein Sicherheits- als ein Logistikproblem.

(Bericht von Christian Krämer. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)