Wenn Einfachheit zur Tugend wird
In Zeiten erhöhter Unsicherheit greifen viele Anleger lieber zur simpelsten Lösung – und das sind derzeit ganz klar ETFs. Die geopolitische Lage ist angespannt, der Markt wirkt zunehmend unberechenbar, und nicht einmal die künstliche Intelligenz trifft noch treffsicher ins Schwarze. Was liegt da näher, als sich dem einfachsten Angebot der Finanzwelt zuzuwenden: börsengehandelte Indexfonds, die möglichst viel von allem enthalten – und das möglichst günstig?
Laut einem aktuellen Bericht des Wall Street Journal verzeichneten ETFs seit Jahresbeginn Zuflüsse in Höhe von 437 Milliarden US-Dollar. Das klingt nicht nur beeindruckend, das ist es auch – und deutet auf ein mögliches neues Rekordjahr hin. In Europa sieht es ähnlich aus: Zwischen Januar und April 2025 flossen 105 Milliarden Euro in ETFs – mehr als doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Botschaft ist klar: ETFs sind zum Tor zur Börse geworden – vor allem für Neueinsteiger.
Zwei Hauptgründe erklären diesen Trend: Erstens wächst die Zahl privater Anleger, die ihre Ersparnisse selbst in die Hand nehmen wollen. Zweitens sorgt der von Donald Trump angezettelte globale Handelskrieg für anhaltende Marktverwirrung. In diesem Nebel fällt gezieltes Stock Picking schwer. Diversifikation gilt daher als einzig verlässliche Schutzstrategie – und wie geht das einfacher, als mit einem ETF, der gleich ein ganzes Indexuniversum abbildet?
Doch wie jede bequeme Lösung hat auch diese ihre Tücken.
Vom Anleger zum Zuschauer
Mit dem Siegeszug der ETFs schleicht sich ein neues Phänomen ein: Der Anleger wird zum Zuschauer. Einzelwerte geraten in den Hintergrund, der Blick richtet sich auf die Gesamtperformance – sprich: auf die berühmten sieben Prozent Rendite pro Jahr, die inzwischen fast so sicher wirken wie der Tod und die Steuer. Für Börsenpuristen hat sich die Aktienanlage damit in ein passives, steriles Sparkonto verwandelt.
Und auch wenn ETFs als bequeme Lösung gelten, nehmen viele Anleger dabei bewusst eine defensive Haltung ein. Der zweitbeliebteste ETF des Jahres ist interessanterweise ein ultra-kurzfristiger US-Staatsanleihenfonds von BlackRock mit einer Laufzeit von 0–3 Monaten. Allein in diesen Fonds flossen fast 17 Milliarden Dollar. „Wir beobachten ein eher defensives Verhalten bei festverzinslichen Anlagen“, erklärte Rosenbluth von VettaFi. „Dass sich mehrere kurzfristige US-Staatsanleihen-ETFs unter den Top Ten befinden, zeigt: Die Anleger lassen sich gern fürs Warten bezahlen.“
So stürzen sich derzeit alle auf ETFs – wie Teenager auf ein Boygroup-Konzert...
Karikatur von Amandine Victor für MarketScreener