Wien (Reuters) - Für den österreichischen OMV-Konzern dürfte einem Juristen zufolge ein Ausstieg aus dem umstrittenen Gas-Liefervertrag mit der russischen Gazprom möglich sein.
Laut dem Zivilrechtsprofessor Andreas Kletecka, der Einsicht in die Verträge erhielt, könnte die OMV den Vertrag aufgrund des erfolgten Lieferstopps rechtlich kündigen. Das erklärte Kletecka in einem Interview mit dem ORF-Radio am Mittwoch. "Wenn der Schuldner im Verzug ist, ihm eine Nachfrist gesetzt wurde und er trotzdem nicht liefert, kann man den Vertrag beenden", so der Jurist. Auch die Tageszeitung "Der Standard" hatte darüber berichtet. Der Vertrag, der laut Kletecka auf schwedischem Recht basiert, sieht eine Kündigungsmöglichkeit vor.
OMV und Gazprom hatten im Sommer 2018 im Beisein des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz den Liefervertrag bis 2040 verlängert - zehn Jahre vor dem ursprünglichen Ablaufdatum 2028. Details zu den Vertragsinhalten wurden nicht veröffentlicht. Bekannt ist jedoch, dass eine "Take-or-Pay"-Klausel die OMV verpflichtet, Zahlungen auch dann zu leisten, wenn kein Gas abgenommen wird.
Die frühzeitige Verlängerung des Vertrags ist seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine ein politisch heikles Thema. Im Juli setzte das österreichische Umweltministerium eine Kommission ein, die mit Zustimmung der OMV den Vertrag prüfen soll. Im Fokus steht die Frage, ob ein vorzeitiger Ausstieg rechtlich möglich ist. Ein Bericht der Prüfungskommission, in der Kletecka Mitglied ist, soll bis Ende Januar vorliegen.
Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) betonte mehrfach die Notwendigkeit, Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Bis zum Lieferstopp Mitte November stammten über 80 Prozent der Gaslieferungen nach Österreich aus Russland.
ESKALATION NACH SCHIEDSGERICHTSENTSCHEIDUNG
Die OMV erhält seit dem 16. November kein Erdgas mehr von Gazprom. Hintergrund ist ein Rechtsstreit über ausgefallene Gaslieferungen in Deutschland im Jahr 2022. Ein Schiedsgericht hatte der OMV im November Schadenersatz von 230 Millionen Euro zugesprochen. Daraufhin kündigte die OMV an, diesen Betrag von der monatlichen Gasrechnung abzurechnen - worauf Gazprom die Lieferungen einstellte.
Ob die OMV die Möglichkeit zur Kündigung nutzen wird, bleibt vorerst offen. "Letztlich ist es die Entscheidung der OMV", sagte Kletecka. Der Konzern selbst kommentiert weder laufende Verfahren noch strategische Überlegungen. Eine Sprecherin der OMV erklärte vergangene Woche, dass keine Änderung der Situation über den derzeitigen Lieferstopp hinaus erwartet werde.
Eine mit der Angelegenheit vertraute Person erklärte die juristische Sicht der OMV gegenüber Reuters folgendermaßen: Die Lieferungen habe Gazprom grundlos eingestellt und damit Vertragsbruch begangen. Die Einbehaltung der Bezahlung für das im Oktober gelieferte Gas sei möglicherweise die letzte Chance, den zugesprochenen Schadenersatz durchzusetzen, so der Insider. Mit Jahresende läuft der Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine aus, spätestens dann hätte die OMV wahrscheinlich ohnehin kein Gas mehr von Gazprom erhalten. Auch Gazprom geht in seiner internen Planung davon aus, dass ab 2025 kein Gas mehr über die Ukraine nach Europa fließen wird, sagte eine mit den Plänen von Gazprom vertraute Person zu Reuters. Allerdings sieht die russische Seite die Rechtssituation anders: Der Schritt der OMV sei als Zahlungsausfall zu verstehen, weshalb daraufhin die Lieferungen gestoppt wurden.
(Bericht von Alexandra Schwarz-Goerlich, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)