Rally ohne Fundament?

Seitdem sich die Turbulenzen rund um die Zollerhöhungen am „Liberation Day“ Anfang April gelegt haben, kehrt an den US-Märkten allmählich Ruhe ein. Der S&P 500 hat sich seit seinem April-Tief um 20 % erholt. Doch mit dem Aufschwung mehren sich auch die Warnungen: Die Aktienbewertungen befinden sich wieder auf sehr hohen Niveaus.

Historisch teure Bewertungen

Der CAPE-Quotient (zyklisch adjustiertes Kurs-Gewinn-Verhältnis), eine von Robert Shiller entwickelte Bewertungskennzahl, liegt laut PIMCO derzeit im 94. Perzentil – US-Aktien waren also in nur 6 % der Fälle seit 1950 höher bewertet als heute.

Und nicht nur absolut sind die Bewertungen hoch – auch im Vergleich zu Anleihen erscheinen Aktien unattraktiv. Die Equity Risk Premium (ERP), also der Renditeaufschlag für Aktien gegenüber risikofreien Staatsanleihen, ist laut PIMCO derzeit gleich null. In der Vergangenheit wurde dieser Zustand lediglich zweimal beobachtet: 1987 sowie zwischen 1996 und 2001.

Quelle: PIMCO

Historische Parallelen mahnen zur Vorsicht

Beide Perioden endeten mit einer deutlichen Korrektur an den Aktienmärkten und einem signifikanten Rückgang der langfristigen Anleiherenditen. Ist die Risikoprämie null, ist der erwartete Ertrag von Aktien und Staatsanleihen gleich – Investoren sind in der Folge geneigt, aus Aktien auszusteigen und in sichere Anleihen umzuschichten.

„Die Risikoprämie für US-Aktien ist im historischen Vergleich außergewöhnlich niedrig“, schreiben die Analysten in PIMCOs jüngst veröffentlichtem Fünfjahresausblick. „Eine Rückkehr zum Mittelwert würde üblicherweise eine Anleihen-Rally, eine Aktienkorrektur oder beides bedeuten.“

Fehlender Auslöser

Doch eine solche Rückkehr zur Normalität geschieht selten von selbst – sie benötigt einen Auslöser. Die aktuelle Aufwärtsbewegung an den Märkten ist vor allem auf die Überreaktion im April, die Entspannung im Handelskonflikt und die anhaltende Euphorie rund um KI-getriebene Tech-Giganten zurückzuführen. Trotz bestehender Risiken auf wirtschaftlicher, handelspolitischer und geopolitischer Ebene gibt es derzeit keine konkreten Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende Korrektur.

Anleihen – attraktiv oder trügerisch?

Trotzdem könnte die aktuelle Marktlage Anleger dazu verleiten, ihre Allokation zugunsten von Anleihen zu überdenken. Der inzwischen pensionierte Marktstratege Jim Paulsen weist darauf hin, dass US-Anleger derzeit überdurchschnittlich stark in Aktien investiert sind – es gäbe also Spielraum für eine Umschichtung.

Doch sind Anleihen tatsächlich attraktiv? Ihre aktuellen Bewertungen erscheinen günstig, doch das gesamtwirtschaftliche Umfeld spricht dagegen: Die massiven Staatsausgaben in Washington – die Ratingagentur Moody’s entzog den USA jüngst das Triple-A – und anhaltende Inflationssorgen halten die Renditen hoch.

Die sogenannte Term Premium, also die zusätzliche Rendite, die Investoren für langfristige Staatsanleihen verlangen, befindet sich auf dem höchsten Stand seit über zehn Jahren – ein klares Signal für das mangelnde Vertrauen in die fiskalische Stabilität der USA.

Trump verschärft die Schuldenlage

Und die Aussichten bleiben angespannt: Laut Berechnungen des Congressional Budget Office (CBO) würde das von Präsident Donald Trump geplante Konjunkturpaket, der sogenannte „Big Beautiful Bill“, die US-Staatsverschuldung in den kommenden zehn Jahren um 2.400 Milliarden Dollar erhöhen – ein weiterer Faktor, der langfristigen Aufwärtsdruck auf die Renditen ausübt.

Trotz der historischen Bedeutung einer Risikoprämie von null zeigt sich bislang kein Ansturm auf US-Staatsanleihen. Anleger bleiben offenbar vorsichtig – mit gutem Grund.