Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus hat Donald Trump seine bekannte Unberechenbarkeit auf die US-Handelspolitik übertragen. Das Ergebnis: dramatisch, erratisch – und je nach Perspektive entweder elektrisierend oder zutiefst destabilisiert.
Innerhalb von etwas mehr als drei Monaten hat Trump Zölle als wirtschaftliche Waffe eingesetzt: 25 %, 100 %, sogar 145 % – nur um sie wenige Tage später auszusetzen oder zu halbieren. Der jeweils erklärte Zweck ändert sich so häufig wie seine Beiträge auf Truth Social: mal geht es um den Kampf gegen Fentanyl, dann um Grenzsicherung, Handelsdefizite oder – wie im Mai – um nationale Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit Pharmazeutika und Halbleitern.
Feuer frei, dann Stillstand
Ein Rückblick auf Anfang Februar: Trump beginnt mit Stahl und Aluminium – und verhängt einen umfassenden Zoll von 25 % auf Importe aus Mexiko und Kanada. Zwei Tage später stoppt er das Vorhaben im Gegenzug für Zugeständnisse bei der Grenzsicherung. Das Drama setzt sich fort mit Drohungen, Rücknahmen und einer stufenweisen Erhöhung der Zölle auf chinesische Waren – gipfelnd in einem surrealen Höhepunkt: einem effektiven Zollsatz von 145 % auf chinesische Importe, inklusive eines Aufschlags von 20 % im Zusammenhang mit Fentanyl.
Wer dahinter eine Strategie vermutet, sollte noch einmal genau hinschauen. Nehmen wir den März: Nachdem die Zölle auf Mexiko und Kanada erneut in Kraft gesetzt wurden, rudert Trump plötzlich zurück – nach einem Telefonat mit den CEOs von General Motors, Ford und dem Vorsitzenden von Stellantis. Zwei Tage später werden bestimmte nordamerikanische Güter für einen Monat von den Strafzöllen ausgenommen – unter Berufung auf den „Geist“ des Freihandelsabkommens, das er zuvor faktisch annulliert hatte.
Die globalen Märkte reagieren auf dieses politische Pingpong zunehmend nervös. Als Trump am 2. April einen pauschalen Zollsatz von 10 % auf alle Importe ankündigt, folgt ein Beben an den Börsen: Binnen 24 Stunden werden Billionen an Marktwert vernichtet. Trumps Reaktion? Ein 90-tägiger Aufschub – allerdings nicht für alle Produkte. Der 10-%-Basissatz bleibt bestehen. Elektronik wird verschont. Filme – kurioserweise – nicht. In einem kulturpolitisch aufgeladenen Schritt verhängt Trump am 4. Mai einen Strafzoll von 100 % auf alle ausländischen Filme. Hollywood jubelt kurz. Kleine Kinos geraten in Panik.
Dann folgt eine gewisse Entspannung im Mai: Nach monatelanger wirtschaftlicher Säbelrassel unterzeichnen Trump und der britische Premierminister Keir Starmer ein bescheidenes Handelsabkommen. Auch China bekommt eine Atempause. Gegenseitige Zölle werden drastisch, wenn auch nur vorübergehend, gesenkt.
Die Inszenierungspräsidentschaft
Damit wird deutlich: Trumps Handelskrieg ist kein Krieg, sondern eine Show. Wie beim Reality-TV geht es um Drama, Eskalation und die Illusion von Lösung. Zölle werden zu Schlagzeilen. Zugeständnisse werden als Siege verkauft. Die Instabilität ist, paradox formuliert, das einzig stabile Element.
In einer konventionellen Präsidentschaft entsteht Handelspolitik durch Kosten-Nutzen-Abwägung, Branchen-Feedback und diplomatische Prozesse. Unter Trump jedoch folgt sie dem Impuls. Unsicherheit wird zur Waffe – sowohl außenpolitisch als auch zur Selbstvermarktung im Inland.
Für Unternehmen, Investoren und Bürger, die unter dieser Sprunghaftigkeit leiden, stellt sich nicht mehr die Frage, wohin das alles führt. Sondern wie lange der Markt es aushält, wie ein Wahlkampfpublikum behandelt zu werden – das jubeln soll bei jeder dramatischen Wendung, Rückschläge vergessen soll und weiter an die Inszenierung glauben muss.
Chronologie von Trumps Ankündigungen:
1. Februar – Trump verhängt 25 % Zölle auf Importe aus Mexiko und weiten Teilen Kanadas sowie 10 % auf Waren aus China. Begründung: Kampf gegen Fentanyl und illegale Einwanderung.
3. Februar – Trump setzt die Zölle auf Mexiko und Kanada für 30 Tage aus – im Gegenzug für Zugeständnisse bei Grenzsicherung und Kriminalitätsbekämpfung. Mit China kommt keine Einigung zustande.
7. Februar – Die Zölle auf sogenannte „de minimis“-Sendungen aus China (niedriger Warenwert) werden verschoben, bis das Handelsministerium Systeme zur Veranlagung eingerichtet hat.
10. Februar – Die Zölle auf Stahl und Aluminium werden auf pauschal 25 % erhöht – ohne Ausnahmen.
3. März – Trump kündigt ab dem 4. März 25 % Zölle auf Waren aus Mexiko und Kanada an und verdoppelt die Fentanyl-bezogenen Zölle auf chinesische Waren auf 20 %.
5. März – Nach einem Telefonat mit den Spitzen von GM, Ford und Stellantis verschiebt Trump die Fahrzeugzölle für Kanada und Mexiko um einen Monat.
6. März – Bestimmte Waren aus Kanada und Mexiko werden für einen Monat von den Zöllen ausgenommen – unter Berufung auf das nordamerikanische Handelsabkommen.
26. März – Einführung eines 25 % Zolls auf importierte Autos und leichte Nutzfahrzeuge.
2. April – Trump verkündet einen globalen Sockelzoll von 10 % auf sämtliche Importe – mit deutlich höheren Sätzen für einzelne Länder.
9. April – Nach einem weltweiten Börsencrash infolge der Ankündigung pausiert Trump die meisten länderspezifischen Zölle für 90 Tage. Der 10 % Basistarif bleibt bestehen. Zugleich kündigt er an, die Zölle auf chinesische Waren auf 125 % anzuheben – was inklusive Fentanyl-Zuschlag einer effektiven Belastung von 145 % entspricht.
13. April – Ausnahmen von den Zöllen für Smartphones, Computer und bestimmte andere Elektronikprodukte, vor allem aus China.
22. April – Einleitung von Sicherheitsuntersuchungen nach Abschnitt 232 des Trade Act von 1962 – Ziel: Strafzölle auf Importe von Pharmazeutika und Halbleitern.
4. Mai – Einführung eines 100 % Zolls auf alle ausländischen Filme.
9. Mai – Trump und der britische Premier Starmer verkünden ein begrenztes Handelsabkommen: Die 10 % Zölle auf britische Exporte bleiben bestehen, Agrarzölle werden leicht gelockert, US-Zölle auf britische Autos gesenkt.
12. Mai – Die USA und China einigen sich auf eine befristete Senkung der wechselseitigen Strafzölle. Die US-Zölle auf chinesische Waren sinken von 145 % auf 30 %, Chinas Zölle auf US-Waren von 125 % auf 10 %.
13. Mai – Die Zölle auf „de minimis“-Sendungen aus China werden auf 54 % gesenkt – zuvor lagen sie bei 120 %.